Klassische Literatur
Jane Eyre
Brontë, Charlotte
dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG , 2014
Ein mittelloses Waisenmädchen, ein verbitterter Gutsherr und ein dunkles Geheimnis
Die Waise Jane Eyre verlebt eine trostlose Kindheit im Haus ihrer hartherzigen Tante Mrs. Reed. Zur Erleichterung aller wird Jane auf ein Internat geschickt; aber auch dort hat sie es anfangs nicht leicht. Mit der Entlassung des heuchlerischen Direktors verbessern sich langsam die Verhältnisse. Als Jane Gouvernante auf Thornfield Hall wird, verliebt sie sich in den finsteren Hausherrn Mr. Rochester, der schließlich auch ihr seine Liebe gesteht. Doch die Mauern des einsamen Landsitzes bergen ein furchtbares Geheimnis.
Berit Dießelkämper über das Buch >
Supererfolg im England von früher. Charlotte Brontë lehrt weibliche Willensstärke in der Männerherrschaft
Wie kann man mit dieser feministischen, antikapitalistischen und so weiter Brille, die einem mittlerweile so fest an den Kopf gewachsen ist, dass man nicht umhinkommt, auch Bücher von 1847 mit ihr zu lesen – wie kann man da heute noch aus einem Werk wie Jane Eyre von Charlotte Brontë die unbedingt benötigten messages und learnings ziehen? Immerhin wurde das zunächst unter männlichem Pseudonym veröffentlichte Buch unmittelbar zum Supererfolg, weil es für das viktorianische England so bahnbrechend vom so- genannten Innenleben einer Frau handelt.
Befasst man sich also einigermaßen ergebnisoffen mit der von ihrem Leben erzählenden Protagonistin, bleibt wegen der ständigen Wiederholung hängen, dass sie sehr hässlich ist. Angesichts der üblichen weiblichen Romanfiguren ist das ganz erfrischend. Ein Verehrer, der Jane Eyre trotz ihrer Unansehnlichkeit besitzen und ehelichen will, meint, in ihrem »ungewöhnlichen Gesicht« Zeichen von Willensstärke zu erkennen, die ihn an ihrer »Lenkbarkeit zweifeln lassen«.
Diese interessante Interpretation von Hässlichkeit verweist auf das weiterhin größte Problem eines Frauenlebens: die Forderung, doch bitte anders zu sein. Jane Eyre soll nicht die eigensinnige junge Frau sein, die mehr will als das für sie Vorgesehene, sondern ein »umgängliches Wesen«, zufriedener, fröhlicher – eben das, was heute unter »Lächel doch mal!« firmiert. Nur ist das Eyre größtenteils egal, und so folgt man der jungen Frau erfreut (You go, girl!) durch ihre lieblose Kindheit als Waise und ihre strenge Erziehung in einem Mädcheninternat, bis sie sich (herrje!) als Gouvernante in ihren Vorgesetzten Mr. Rochester verliebt. Er möchte sie, die »kleine Tyrannin«, heiraten und »an eine Kette hängen«, womit man sie als Role-Model wieder aufgeben kann, denn natürlich sucht auch sie nur Geborgenheit und Sicherheit in der Liebe eines Mannes. Das Problem: Er ist noch mit der von ihm aus Jamaika nach England verschleppten Bertha Mason verheiratet (postkolonialistisch problematisch!). Rochester hat sie auf dem Dachboden seines Hauses eingesperrt; manchmal bricht sie aus und versucht, ihn zu töten, oder zerreißt Jane Eyres Schleier in der Nacht vor ihrer geplanten Hochzeit – ein exzentrischer, aber sicher nur nett gemeinter Hinweis, ihren Noch-Mann besser nicht zu heiraten. Mit Mason hat man eine neue Heldin, die einem weibliche Solidarität und Widerstand gegen männliche Herrschaft und Kontrolle lehrt. Sie brennt als letzte Amtshandlung das Haus ihres Mannes nieder. Er ist anschließend blind, sie leider tot.